vorbei, verklickt, nie wieder. der vergängliche held

»der held ist ein versehrter, der über seine beeinträchtigung hinauswächst. der held stellt etwas dar, das über ihn hinausgeht.«

auszerdem: superman hat antike wurzeln. supermann sagt:

»de grands pouvoirs engendrent de grandes responsabilités.«

dazu eine hand voll beispiele: eine französische schwimmerin, der die liebe die kraft gibt, schneller zu schwimmen, oder stephen hawkin, der bewegt, ohne sich selbst bewegen zu können.

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vorbei, verklickt, nie wieder. der vergängliche held

das problem des heutigen helden ist seine kurzlebigkeit. der moderne mensch ist geneigt, seine rare aufmerksamkeit wie regenhuschen über die medienwelt zu streuen. huschen: dieser kurze, vielleicht fünf minuten lange regen, den du nur daran erkennst, dass danach der boden feucht ist und dass an diesem windigen tage die wolken rasch weiterziehen. damit aber der held fruchtbare spuren in der welt hinterlassen kann, braucht er unsere aufmerksamkeit. und wir? huschen hin, um kurz zu schauen. der held setzt an zu einer kleinen rede, aber da huschen wir schon wieder weg. unsere aufmerksamkeit ist wie tucholskys augen in der großstadt: »vorbei, verweht, nie wieder.« der held öffnet und schlieszt noch einige male den mund, ohne dass seine worte irgendwo ankämen. ist der held noch ein held, wenn ihn keiner als solchen sieht?
natürlich, wollen wir rufen, es geht ja nicht um den ruhm, sondern um seine taten! der held darf doch die welt nicht retten, um geliebt zu werden, er muss es aus liebe zur welt tun!

moment mal. der duden sagt, ein held ist

a) antik, da wollen wir jetzt sagen: irrelevant;

b) »jemand, der sich mit unerschrockenheit und mut einer schweren aufgabe stellt, eine ungewöhnliche tat vollbringt, die ihm bewunderung einträgt«

c) »jemand, der sich durch auszergewöhnliche tapferkeit im krieg auszeichnet und durch sein verhalten zum vorbild [gemacht] wird«

wenn wir den begriff krieg weit fassen, sei es als sportler gegen die schwerkraft sich selbst den gegner oder als aktivist gegen die oligarchie korruption und gewaltbereite polizisten, kommen wir zu meiner definition (denn wenn ich grosz bin, werde ich mein eigener duden):

heute ist der held ein versehrter, der seine beeinträchtigung überwindet.

wir wollen doch sehen, dass der held nicht von vornherein bevorteilt ist. wir wollen doch glauben, dass der held aus sich selbst heraus herausragendes vollbringt. wir wollen sehen, dass du, lieschen müller, die welt verändern kannst.

um das zu glauben, braucht es viele helden. helden auf allen feldern. sie laufen springen boxen sie skandieren und patrollieren sie operieren – unter lebensgefahr – nur eines tun sie nicht: sie resignieren.

du findest keine klagenden helden.

das ist schwer auszuhalten. jeder trägt seine lasten. jeder rühmt sich damit, mancher leiser, mancher lauter. die herkunft die schwerkraft die arbeit und gestern ist die katze gestorben.

der held sagt: ich werde so schnell laufen wie noch nie ein mensch zuvor, ich werde es für die katze tun. es gibt einen moment in einem wernerfilm, in dem es darum geht, ein schwein zu retten. werner muss so schnell fahren, dass die zeit beginnt, rückwärts zu laufen. das bereits zerlegte schwein setzt sich sekundenweise wieder zusammen, liegt auf dem grill, liegt noch nicht auf dem grill, wird geschlachtet, lebt noch, quiekt noch – da kommt werner, fängt den arm des metzgers ab: »hier wird kein schwein geschlachtet!«

wir sehen: helden jammern nicht, helden machen.

das ist für eineinhalb stunden eines kinofilms wunderbar anzusehen. aber dann muss man raus, raus in die kalte stadt und sagen: »brrr ist das kalt. so einen kalten winter hatten wir schon lange nicht mehr.«

wir wollen helden, aber wir wollen sie zeitlich begrenzt. da kommt uns die sozialnetzbedingte zerstreuung sehr entgegen. hast du den gesehen, fragen wir, und posten den ausschnitt eines heldentums, und gleich den nächsten und wieder einen anderen. wir stellen unsere helden in gallerien, jedem seine tat, jedem seine bewunderer: 6likes 14likes 0. unser glück: wir müssen nicht bleiben. ist ein video vorbei, kommt das nächste, ein halber zeitungsartikel, zwei fotos. wobei wir fotos ungern glauben, man hört ja so viel über manipulierte bilder.

wir wollen unsere helden abschalten können, weil sie uns vorführen, was möglich wäre, wenn wir versuchten zu handeln. aber wir fürchten im voraus, wir könnten versagen. also recken wir kurz den daumen für einen helden, halbernst, und gehen zu anderen dingen über: »es ist nämlich immer noch sehr kalt, was für ein strenger winter in diesem jahr.«

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Von Wiebke Zollmann

Schreibt, übersetzt, fotografiert. Absolventin des Schweizerischen Literaturinstituts. Mentorin bei Online-Literaturmentorat. Texterin & Fotografin für The Naghash Ensemble aus Armenien