ilija trojanow über recherche beim »freitag am donnerstag«

FREITAG am Donnerstag – Ilija Trojanow (Köln Jun. 28, 2012) von
FREITAG lab. ag auf Vimeo.

  • das gepäck ist das, was einen an die herkunft bindet. wenn sie sich mit leuten unterhalten, vor allem in ländern, die als unsicher empfunden werden – es ist ja oft nur ein psychologisches problem – die leute fühlen sich deshalb unsicher, weil sie denken, sie werden jeden moment bestohlen. das heißt, das gepäck, das sie mittragen, ist das, worüber sie sich sorgen machen. => das, was sie in irgendeiner weise verunsichert, ängstlich macht, dadurch ihre einstellung verändert, dadurch fehlt es eben an der offenheit, sich auszusetzen
  • recherche bedeutet 1) ohne gepäck reisen. sich möglichst nackt zu machen. 2) bitte einen einheimischen, zu beschreiben, was er sieht. ein kriterium für eine gute recherche: wie oft wird eigentlich ein anderer mensch zitiert?
    3) empathie ist bei der recherche und beim schreiben eine sehr sehr wichtige kategorie. das zeichnet großartige schriftsteller, romanciers aus, dass sie sich ja in jede figur einfühlen können. unabhängig davon, ob die figur eher positiv oder negativ gezeigt wird. und das ist, glaube ich, bei der recherche erst recht notwendig
  • man kann nur dann literarisch glaubwürdig zaubern, wenn es ein fundament gibt
  • das dritte und entscheidende ist die langsamkeit
  • die achtung vor der leistung der menschen steigt natürlich exponential, wenn man versucht, sie selbst ein stück weit nachzuvollziehen. diese leute verbringen leistungen, die für uns geradezu unfassbar sind.
  • die recherche ist eine reise vom ich zum selbst. das ich steht im weg, zeigt sich als unflexibel.
  • das ideal, dass man etwas beschreibt, das nicht völlig zufällig ist, nicht völlig subjektiv, nicht tagesabhängig, sondern dass man tatsächlich in besten moment etwas grundsätzliches erfasst und deshalb betreibt man einen relativ großen aufwand
  • die anverwandlung als ziel
  • obwohl es natürlich zwei standpunkte gibt: den der recherche, des goldgräbers und den der imagination
  • der existentielle unterschied zwischen interview und gespräch: die lebendige reportage braucht gespräche (vertrautheit), das interview ist eher eine anreihung von statements
  • die in der recherche hoffentlich überwundene distanz baut sich am schreibtisch neu auf
  • schreib alles auf, was dir jetzt auffällt, weil du dich in einigen monaten schon daran gewöhnt haben wirst – und es nicht wahrnimmst
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Von Wiebke Zollmann

Schreibt, übersetzt, fotografiert. Absolventin des Schweizerischen Literaturinstituts. Mentorin bei Online-Literaturmentorat. Texterin & Fotografin für The Naghash Ensemble aus Armenien