eriwan 1666
»vor der karawanserei gibt es einen kleinen markt mit läden, wo man allerlei proviant verkauft, daneben eine schöne moschee und zwei cabarets à cahvé.«
Jean Chardin
eriwan 2012
die karawanserei heißt avtokajan und die minibusse, die aus eriwan nach tiflis oder teheran fahren, parken mit den schnauzen zum gehsteig. dahinter wechseln sich kioske, in denen man kekse, weißbrot und zigaretten kauft, mit kinositzen ab. zum ende der sowjetunion hat man die kinos geplündert und die kirchen mit neuem inventar bestückt. heute gibt es holzbänke, aber am avtokajan sind die kinositze geblieben.
eine alte frau mit grauem haar, bunter schürze und so faltiger haut, dass man seine fahrkarte wie in einen automaten hineinstecken könnte, läuft langsam den gehsteig ab. sie hat einen korb in der hand, darin jesuskettchen, türkisch blaue augen, streichhölzer und papiertücher. die alte bleibt neben einem hippie stehen, tätschelt seinen unterarm und zeigt auf ihren korb, die augen, den jesus, und gen himmel. der hippie schließt die augen, schüttelt langsam den kopf, faltet die hände und hebt sie vor sein gesicht. eine junge frau neben ihm steht auf und verschwindet. die alte setzt sich auf ihren platz. sie zieht eine plastiktüte aus der schürze und atmet einige male hinein. dann schnäuzt sie gelben schleim in die durchsichtige tüte, die dabei raschelt. die alte verknotet die öffnung, legt die tüte neben sich und schiebt sie, mit einer bewegung, wie man sie zum anstoßen einer murmel macht, vom sitz.
die junge frau kommt zurück, sie trägt zwei kleine porzellantässchen, beide auf untertassen. ihr klirren verrät, dass die hände der frau zittern. sie stellt die tassen auf ihren koffer. ihr mann bietet eine zigarette an, gibt feuer und sie stehen rauchend nebeneinander.
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zuerst erschienen in: la liesette litteraire #3