Weihnachtsgeschichten, Gäste

Für ein gelungenes Fest brauchte es Gäste und Rafael hatte daneben eine 300 geschrieben. Aber dreihundert Menschen passten unmöglich in diesen Raum. Leila dachte an ihre Mathelehrerin, die immer gefragt hatte: Dreihundert was? Birnen, Büroklammern? Dreihundert … getrocknete Regentropfen. Leila nahm einen Zettel und einen Bleistift und ging zum Fenster. Mit dem Bleistift tippte sie in jeden getrockneten Tropfen und zog dann einen Stich auf ihrem Zettel. Sie kam auf dreiundfünfzig mal fünf und drei einzelne Tropfen. Keine dreihundert, aber schon eine stattliche Zahl. Die übrigen Gäste musste sie selbst einladen. Leila ging zurück zum Schreibtisch, nahm ihre Teetasse und malte mit dem lauwarmen Tee die restlichen Tropfen an das Glas der Bürotür, bis es genau dreihundert waren. Den dreihundertersten, den Überraschungsgast setzte sie auf Rafaels schwarzen Monitor.

Von Wiebke Zollmann

Schreibt, übersetzt, fotografiert. Absolventin des Schweizerischen Literaturinstituts. Mentorin bei Online-Literaturmentorat. Texterin & Fotografin für The Naghash Ensemble aus Armenien