hortensien

das mädchen, das nie blumen hatte und nie blumen kannte, nicht einmal den namen nach, als es einundzwanzig war und sehr allein, bemerkte es, dass seine heimat in hortensien lag. dort, wo das mädchen herkam, wuchsen blaue und rote in schweren tontöpfen und abends karrte der großvater sie vom gehsteig in den innenhof.
als das mädchen auszog in ein land, wo blumensträusze weniger kosteten als ein stück butter, fand es wieder hortensien. dort kaufte es nur die blüten, stelle sie in wasser und niemand schimpfte, dass sie ihr essensgeld für schnittblumen ausgab. das mädchen verliesz auch dieses land, zog wiederum in ein nächstes und verlor dabei die hortensien aus den augen. kürzlich sah es sie in einem gemälde. das mädchen legte sich vor dem bild auf den boden und drängte mit dem rücken gegen die wand, an der das hortensienbild hing.

Von Wiebke Zollmann

Schreibt, übersetzt, fotografiert. Absolventin des Schweizerischen Literaturinstituts. Mentorin bei Online-Literaturmentorat. Texterin & Fotografin für The Naghash Ensemble aus Armenien