Barekendan – Karneval auf armenisch

Samstag, der 9. Februar 2013, Feierabendzeit. Auf dem Vorplatz des Verkehrsknotenpunktes Jeritasardakan tanzen Jugendliche: manche in armenischen Trachten, andere mit selbst gebastelten Masken. Hinter ihnen spielt ein Junge Dhol, ein zweiter Zurna. Ein alter Mann gesellt sich dazu. Zuerst tanzt er allein, dann zur Gruppe hin. Schließlich verschwindet er so rasch, als habe er mit all dem nichts zu tun. Die Jugendlichen aber tanzen weiter. In ihren Gesichtern leuchten rot bemalte Nasen und Pausbacken, schimmern Frohsinn und goldene Faschingspailletten. Syuzanna Siradeghyan, eine junge Ethnografin, verteilt Liedtexte an Passanten und erklärt, was ihre Gruppe dort treibt:

»Wir feiern ›Barekendan‹. Das ist ein altes armenisches Fest, ein bisschen wie Karneval in Deutschland. Man verkleidet sich, tut verrückte Dinge – man bricht aus dem Alltag aus. Aber in den dunklen Jahren haben wir Barekendan verloren und heute wissen viele Leute nicht mehr, was das ist. Das wollen wir ändern.«

Eine junge Frau mit schwarzer Maske und roten Lippen fügt hinzu:

»Unser Ensemble will die alte Tradition wieder auferstehen lassen. Früher hat man zwei Wochen lang gefeiert – es war die Zeit vor dem großen Fasten. Es gab Gelage, fettig und viel, ganze Dörfer feierten gemeinsam. Mädchen und Jungen verkleideten sich und zogen durch die Straßen. Begleitet von Zurna und Dhol sangen und tanzten sie –  und die Anwohner schenkten ihnen Süßigkeiten.

Mit Barekendan vertreibt man das Böse und bittet das Gute zu sich. Und während dieses Festes gibt es keine Unterschiede zwischen den Menschen: kein Arm und Reich, kein Alt und Jung. Nicht einmal König und Volk.«

Vom Vorplatz zieht die Gruppe weiter und durchläuft die Unterführungen der Abovyan-Straße. Die Musiker spielen, die Händler und Passanten schauen und staunen. Gereckte Mobiltelefone produzieren Wackelfilmchen für den nächsten Kaffeeplausch, eine nächste Zigarettenpause. Die schwarz Maskierte kommentiert:

»Wir hoffen, dass die Leute sich an Barekendan erinnern, wenn sie uns sehen. Und wer weiß, vielleicht feiern sie es später wieder selbst.«

An ihren Umzug hängt die Gruppe einen Tanzkurs in einer schummrigen Bar. Zwischen den Liedern, während man Softdrinks oder Kaffee schlürft, erklärt eine knarrende Märchenonkelstimme die Herkunft des Festes. Dann füllt sich die Tanzfläche, das nächste Lied klingt an und die Fotografin macht körnige unscharfe Bilder, bis sie schließlich selber tanzt.

Von Wiebke Zollmann

Schreibt, übersetzt, fotografiert. Absolventin des Schweizerischen Literaturinstituts. Mentorin bei Online-Literaturmentorat. Texterin & Fotografin für The Naghash Ensemble aus Armenien