weltwärts

Sie verfliegt. Die Yerevaner Zeit seit Mitte August, seit ich offiziell weltwärts unterwegs bin: 40-Stunden-Wochen Webentwicklung, freiwillig für Brot und Bett. Entwicklungspolitischer Freiwilligendienst, fast.

Dazu der Versuch, eine Sprache zu lernen, deren Vokabeln nur die waghalsigsten Eselsbrücken gestatten und meine Erinnerung zuweilen abstürzen lassen. Wenn sie nicht gebannt bei den Farbnamen verharrt: Rosenfarben, milch- und kaffeefarben. Zusammengesetzt aus der Umgebung, vielleicht am meisten aus der Farbe der Asche und des Staubs, denn:

Überall Staub, an manchen Abenden so dicht wie Nebel. Einen Moment lang, dann klart die Sicht auf und die Tische der Straßencafés sind überzogen mit den rauen Spuren des Staubs. Überhaupt der Dreck! Baustellen, Leerstellen, Leerstände. Eine Prachtstraße hochgezogen aus dem Größenwahn eines Architekten, damit eine Hand voll Männer ihre Gelder darin waschen können. Zögerlich siedeln ein paar Geschäfte, Cafés, Schuhe, Schmuck und Telekommunikation. 1 Dram pro Minute, 0,02 Euro. Nichts haben, aber reden.

Reisen:

Für vierundzwanzig Euro zwei Stunden Taxifahren, in die Pampa, ins Naturschutzgebiet, ein paar Brocken Sprache aus meinem Steinbruch, dazu ein paar Brocken, die aus dem faulenden Mund des Taxifahrers fallen. Er freut sich, als ich ihn bitte anzuhalten, damit ich einkaufen kann:

Honigmelonen, ein paar Kilo für zwei Euro als Gastgeschenk, wenn eine Stunde später in einem weißen Lada Niva vier Menschen sitzen (Lada Niva: null Komfort aber die seltsame Kraft eines russischen Nutzgerätes) und durch die Natur fahren, um zu sehen, dass sich die Tiere verstecken, dass es Zecken gibt und Weite. Täler und Berge im Khosrov, einem Naturschutzgebiet südostlich der Hauptstadt. Im Sommer wohnen dort zwei Familien. Mit dem Quellwasser aus den Bergen, mit Gemüsegärten, billigem Kaffeepulver und Gaskochern. Mit Hühnern und Kühen und Wellblech-Holzhütten, durch deren Löcher der Nachtwind bläst. Wir essen selbstgemachten Jogurt und Käse, die mitgebrachten Melonen. Das Großmütterchen sagt: im lav achschik, mein gutes Mädchen. Das Großmütterchen geht gebückt in ihre Hütte, wo ein kleiner Wolfshund neben ihrem Bett liegt. Die Ohren sind abgeschnitten, aber der Schwanz kringelt sich noch. Hütehunde, da darf der Wolf keine Angriffsfläche haben. Wir fahren weiter, sehen halbe Wildpferde und eine halbe Stunde später schlägt der Lada auf, die weiße Fahrertür gegen den Boden des Weges. Manuk, der Fahrer, gibt Gas. Der Lada fährt. Zwei Reifen auf dem Boden, zwei am Hang. Drei Menschen umfassen die Angstgriffe an ihren Türen. Chndir chga, sagt Manuk, kein Problem.

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Von Wiebke Zollmann

Schreibt, übersetzt, fotografiert. Absolventin des Schweizerischen Literaturinstituts. Mentorin bei Online-Literaturmentorat. Texterin & Fotografin für The Naghash Ensemble aus Armenien